Lesepredigt zum Sonntag Trinitatis 2020

Von Pfarrer Andreas Strauch

4. Mose 6, 22-27:
Der priesterliche Segen
22 Und der Herr redete mit Mose und sprach:
23 Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet:
24 Der Herr segne dich und behüte dich;
25 der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig;
26 der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.
27 So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.

Liebe Gemeinde,

der Segen weist ins Leben. Deshalb ergeht der Segen am Schluss eines Gottesdienstes. Wie ein Abschiedsgruß mit guten Wünschen und einem liebevollen Nachblick ist er. Zum Mitnehmen und Behalten, soweit wir das können, um Mut und Kraft aus ihm zu schöpfen. An der Schwelle von Gottesdienst und Alltag, von Gottesdienstfeier und Lebensgottesdienst kann der Segen zu einem gelingenden Übergang verhelfen, der beides miteinander verbunden hält.

Es gibt Menschen, denen ist der Segen das Wichtigste am Gottesdienst. Sie spüren in besonderer Weise, was uns allen guttut und was wir brauchen: den Schutz, das Geleit, die Begleitung Gottes für die nächste Wegstrecke.

Dessen müssen wir uns immer neu vergewissern lassen. Zwar ist uns das alles ja von Gott längst zugesagt. Von Gott, der uns ins Leben rief und der unser Leben will. In der Taufe ist der Segen Gottes und seine Verbindung zu uns ausdrücklich besiegelt. Und doch – wir müssen es immer wieder neu hören, neu zugesprochen bekommen. Vielleicht auch, weil wir spüren, dass wir selbst uns immer wieder entfernen von Gott und aus seinem Schutzbereich.

Nicht Gott entfernt sich von uns, wie wir es manchmal denken. Jedenfalls wendet Gott sich nicht ab von uns. Sondern eher schon wir von Gott. Etwa wenn wir gar nicht mehr mit Gott rechnen, wenn wir verzagt und ängstlich sind und uns hundert und tausend Gedanken machen, was uns alles passieren könnte. Wenn uns unsere Sorgen zu zerfressen beginnen. Wenn wir meinen, alles hänge an uns und nur an uns. Dann scheint uns Gott weit weg, und wir finden den Weg zurück zu Gott nur schwer. Gott lässt sich nicht einfach herbeiholen, jedenfalls nicht nach unseren Vorstellungen und Wünschen.

Da ist es gut, wenn sich Gott selbst mit seinem Segen wieder in Erinnerung bringt. Wenn wir uns erinnern lassen: Gottes Segen liegt über uns. Seine Nähe ist uns zugesprochen.

„So sollen sie meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.“ (s.o.: 4. Mose 6, 27) Das ist ein starker Satz. Im Segen verbinden sich Gott und Mensch. Nicht nur, dass Gott Menschen beauftragt, selbst zu segnen, so wie Aaron und seine Söhne diesen Auftrag zu segnen erhalten (s.o.: 4. Mose 6, 23.24). Sondern im Segen selbst, auch wenn er von anderen Menschen weitergegeben wird, verbindet sich Gott direkt mit dem oder der Gesegneten.

Gott legt seinen Namen, den Namen Gottes, auf den gesegneten Menschen ab. Der, die Gesegnete ist ein Gotteskind. Gottes Angesicht leuchtet über dem gesegneten Menschen. Der, die Gesegnete erstrahlt in Gottes Licht.

Können Sie sich erinnern, wie es ist, wenn ein Mensch strahlt? Es geht dann ein Glanz, etwas wirklich Helles und Schönes und Gutes und Freundliches von ihm aus und überträgt sich auf den Menschen, den der strahlende Blick trifft. Kinder insbesondere haben oft einen strahlenden Blick, aber nicht nur sie. Auch bei ganz alten Menschen kann man das manchmal in sehr anrührender Weise erleben, im Grund aber bei Menschen jeden Lebensalters. Dieser Blick lässt einen nicht unberührt, und unter Gottes leuchtendem Angesicht blieben wir nicht einfach, wie wir sind. Ausgestattet mit Gottes Segen, angestrahlt von Gott, können wir unserer Wege ziehen und unseren Lebensweg als Ganzen Schritt für Schritt beschreiten.

Von Gott behütet – kann uns dann nichts mehr zustoßen? Da haben unsere Lebenserfahrungen uns doch ganz anderes gezeigt und gelehrt, oder nicht? Nur: Wir merken vor allem, wenn uns etwas quer geht, wenn etwas stört, nicht so kommt, wie wir es wollten, geplant oder vorbereitet haben. Merken wir aber auch, wie oft an nur einem einzigen Tag wir wirklich bewahrt bleiben? Wir lesen und hören von Unglück, Unfällen, Schicksalsschlägen, Krankheiten, Katastrophen in der Nähe und in der Ferne, und uns selbst ist so oft wieder ein Tag geschenkt worden, an dem es uns an nichts Wesentlichem gefehlt hat und wir gut leben konnten, alles Notwendige und vieles mehr hatten und noch manches gute und liebe Wort gehört haben, das uns aufgebaut und weitergeführt hat. Wir fragen: Wo ist Gott? Und gleichzeitig nehmen wir völlig selbstverständlich Gottes täglichen Wohltaten in Empfang.

Aber: Es gibt doch Krankheit und Schmerzen, Einsamkeit, Arbeitslosigkeit, Existenzbedrohungen, Misserfolg, Trennung, Tod und Trauer. Auch bei uns. Viele Menschen spüren gerade in solchen schwierigen Lebenslagen, dass sie immer noch – jetzt vielleicht sogar in ganz besonderer Weise – getragen werden und Kraft bekommen. Sie fühlen sich jetzt in dem Schweren bewahrt und gestärkt, vielleicht auch, weil jetzt nicht mehr alles einfach so selbstverständlich ist. Sie haben jetzt ihren Blick geschärft für all das Gute, das sie immer noch bekommen, in allen Schwierigkeiten.

Gott ist jetzt nicht weg, sondern gerade da: helfend, tröstend, stärkend, neue Wege zeigend. Oft in Gestalt von Menschen, von denen man das vorher gar nicht unbedingt erwartet hätte. Sie wirken segensreich. Sie werden zum Segen. In ihnen zeigt sich Gottes Segen überdeutlich.

Unter dem Segen Gottes hatte das Volk Israel seine lange Wüstenwanderung mit vielen Entbehrungen und Durststrecken bestanden. Alles in allem war es währenddessen immer wieder bewahrt und versorgt und gelangte schließlich ins Gelobte Land. Gottes Segen wirkte im Schweren und im Guten.

Gerade weil kein Menschenleben nur glatt und geradlinig verläuft, brauchen wir die Gewissheit des Gottessegens. Damit wir uns im Schweren und Abgründigen nicht verlieren. Auch im ‚finsteren Tal‘ (Ps. 23) dürfen wir Gott bei uns wissen. Auch wenn der Weg aus dem ‚finsteren Tal‘ uns nicht mehr an das Licht unserer Sonne führt. Gottes Segen weist über unser irdisches Leben hinaus. Gottes leuchtendes Angesicht bleibt mit seinem Segen über uns.

Und: Frieden will der Segen übermitteln und zueignen. Das haben wir immer wieder neu nötig. Die Zueignung des Gottesfriedens bedeutet auch Aufgabe und Verpflichtung für uns. Frieden will erarbeitet und erhalten werden. Wörter wie ‚Friedensbemühungen‘, ‚Friedensverhandlungen‘, ja sogar – merkwürdige Maßstäbe! – ‚Friedenstruppen‘ zeigen ja, wie viel mühseliger Arbeit es bedarf und welche umstrittenen und riskanten Mittel mitunter gewählt werden, um auf Frieden mit Aussicht auf eine gewisse Dauer hinzuwirken.

Als Gesegnete, als solche, die wir von Gott in Gottes Frieden eingewiesen werden, können und sollen auch wir selbst zum Frieden in unserer Umgebung beitragen. Unsere Umgebung: das ist z.B. die Familie mit ihren verschiedenen Generationen (Ehepartner, Kinder und Eltern, Enkel und Großeltern, die Familie des Partners, der Partnerin), dann: der Arbeitsplatz, der Kindergarten, die Schule, die Nachbarschaft, die Gemeinde, das Dorf, die Stadt. Mit den Friedensanstrengungen und Friedensangeboten in unserer Umgebung gehen wir auch schon die ersten und entscheidenden Schritte für den Frieden in unserer Gesellschaft und auf der Welt.

Der Segen spricht freundlich zu uns: Gott wendet uns sein Angesicht zu. Wir sind in Gottes Blick. Das ist ein bewahrender und gnädiger Blick: wohlwollend, sorgend, schützend, freundlich. „Nie sind wir allein, stets sind wir die Deinen“ heißt es in einem Segenslied, und im weiteren Verlauf: „Frieden gabst du schon, Frieden muss noch werden.“ (EG 170)

In Jesus Christus hat Gott den Menschen noch einmal in ganz anderer, ganz intensiver Weise sein Angesicht zugewendet. Gott war in Jesus erschienen: zum Anschauen – und zum Anfassen. Gott ließ sich sehen und begreifen: als Mensch, der die Menschen mit sich und miteinander versöhnte und die Friedensstifter seligpries, weil diese etwas von seinem Reich verwirklichen.

Vor zweieinhalb Wochen war das Fest Christi Himmelfahrt. Jesus segnete seine Jünger vor, ja noch bei seiner Himmelfahrt. So lesen wir es zum Schluss des Lukas-Evangeliums (Lukas 24, 50.51). Das ist es, was Jesus seinen Jüngern zum Abschied gibt: seinen Segen – noch bevor sie mit dem Heiligen Geist beschenkt werden.

Der Segen bleibt und gilt allen, die Jesus nachfolgten oder nachfolgen – durch die Zeiten. Unter seinem Segen geschützt und geborgen und freundlich angeschaut, dürfen wir leben: und ausgestattet mit dem Heiligen Geist bleiben wir mit ihm, mit seinem Vater, der auch unser Vater ist, und untereinander verbunden in seinem Frieden, der weiter reicht als alle menschliche Bemühungen und höher ist als alle menschliche Vernunft. Amen.