Gedanken zu Ostern 2020

Gedanken zu Ostern 2020 – von Pfarrer Andreas Strauch

Das Osterevangelium nach dem Evangelisten Matthäus (Kapitel 28, nach Lutherbibel 2017)):
1 „Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria Magdalena und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen.
2 Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn ein Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf.
3 Seine Erscheinung war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee.
4 Die Wachen aber erbebten aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot.
5 Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht.
6 Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt und seht die Stätte, wo er gelegen hat;
7 und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern: Er ist auferstanden von den Toten. Und siehe, er geht vor euch hin nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.
8 Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen.
9 Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder.
10 Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.“

Hätten wir auch in diesem Jahr die Möglichkeit, in unseren Kirchen miteinander Ostergottesdienste zu feiern, so hätten wir uns wieder begrüßt mit den Worten: ‚Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden.‘ Und hätten damit unseren Glauben und unsere Hoffnung bekannt: Das Leben ist stärker als der Tod. Gott hat den Tod besiegt. Gott besiegt den Tod.

Dies ist und bleibt, wie uns nicht erst in diesem Jahr deutlich ist, Glaube und Hoffnung wider den Augenschein. Dieses Bekenntnis widerspricht dem, was Menschen sehen, erfahren, erleiden.

Dagegen bekennt der Glaube: Die Osterbotschaft ist die Wahrheit unseres Lebens.

Freilich ist sie eine geheimnisvolle Wahrheit.

Wissenschaft, menschliche Vernunft, menschlicher Verstand können dieses Geheimnis nicht lüften. Nicht beweisen, nicht widerlegen.

Österlicher Glaube bleibt nicht im Innerweltlichen verhaftet, sondern er nimmt – erneut, wie schon zu Weihnachten! – den Einbruch des Göttlichen in unsere Welt wahr.

„Jesus lebt“ – das ist nicht nur die Botschaft von Weihnachten, wo wir den Beginn des göttlich-menschlichen Lebens feiern.

„Jesus lebt“ – das ist vor allem die Osterbotschaft. Gott, der Mensch geworden war (Weihnachten), der wie jeder Mensch sterben musste und wie viele Menschen durch Unrecht und Gewalt sterben musste (Karfreitag), Gott hat sich erneut zu diesem göttlichen menschlichen Leben bekannt, zu Jesus, der sein Leben so völlig und vorbehaltlos – voller Liebe und Vertrauen – Gott und den Menschen gewidmet hatte, dass sich dieses menschliche Leben eben schon in seinem Leben und Leiden, seiner Hingabe und seinem Sterben als göttlich erwiesen hatte.

Österlicher Glaube trägt die Verheißung in sich, dass er eine Verbindung zu dem Auferstandenen schafft und erhält.

Aber auch der Glaube kann dieses Geheimnis nicht lüften, nicht beweisen, nicht widerlegen! Das letztere will er gewiss auch nicht, das erste und das zweite sollte der Glaube auch nicht wollen! Das ist nicht sein Werk und nicht sein Wesen.

Der Glaube kann teilhaben an dem Geheimnis der österlichen Wahrheit unseres Lebens. Sich hineinversenken. Spuren, Lebensspuren im menschlichen Leben, in der Welt suchen, entdecken, setzen: in unserer heutigen Welt, in der wir Tag für Tag von der Wirklichkeit des Todes umgeben, bedrängt, erschreckt, verängstigt werden!

Österlicher Glaube rechnet mit mehr, hofft auf mehr als die Wirklichkeit uns täglich vor Augen führt: Furcht und Schrecken, Not und Tod, Tränen und Trauer.

Österlicher Glaube sieht weiter, sieht dahinter eine andere Wahrheit, die stärker ist und all das, was Menschen in ihrem Leben aushalten müssen, überhaupt tragen lässt.

Österlicher Glaube bleibt nicht stehen vor dem Leid der Welt, er kapituliert nicht vor dem Tod, weil er eine Lebenskraft in sich trägt, die unbesiegbar ist.

Österlicher Glaube weicht dem Tod nicht aus, kennt Trauer und Entsetzen, spürt und erleidet die lebensfeindliche Macht des Todes und vertraut auf Stärkeres, auf das Leben, auf Gott.

Österlicher Glaube erklärt nicht, sichert sich nicht ab, sondern lässt Gottes Kraft mit sich geschehen, in sich wirken.

Österlicher Glaube kann auch die Fragen, die Zweifel, die Verzweiflung Gott anvertrauen und Gott mehr zutrauen als dem eigenen Verstehen und der eigenen Vernunft. –

So haben’s auch die Frauen erlebt. Oder anders und besser: So haben’s auch die Frauen mit sich geschehen lassen.

Vom Osterglauben ist in der Ostererzählung nach Matthäus (s.o.) gar nicht ausdrücklich die Rede.

Wir können an dieser Erzählung aber wunderschön sehen, wie der Osterglaube geschieht, zu wirken beginnt, Zuversicht gibt, Freude weckt, auf den Weg setzt.

Den toten Jesus wollen die Frauen besuchen, nach seinem Grab schauen, an den Ort gehen, wo sie ihm nahe sein und der Trauer und den Schmerzen Raum geben können.

Oft suchen Menschen die Gräber ihrer Lieben auf, um ihnen nahe zu sein, obwohl diese doch nicht mehr da sind. Der Schmerz wird am Grab nicht unbedingt kleiner. Er kann zur Reinigung führen, so wie Tränen die Trauer im guten Sinne befördern, die Versteinerung lösen können.

Matthäus erzählt jetzt – als einziger der vier Evangelisten – von einem Erdbeben, wie übrigens auch schon unmittelbar nach dem Tod Jesu.

Tod und Trauer können erschütternd sein und alles ins Wanken bringen. Tod und Trauer können so stark und übermächtig sein, dass sie das eigene Leben in seinen Grundfesten erschüttern oder gar zum Einsturz bringen können.

Ein Erdbeben hat zerstörerische Macht und lässt nicht allein Häuser einstürzen. Ohnmächtig ist der Mensch, auch heute der hochtechnisierte Mensch den Naturgewalten ausgesetzt. Sie sind stärker, unermesslich viel stärker als alle Menschenmacht und Menschenkraft.

Tod und Trauer können erschüttern. Die welterschütternde Kraft des Erdbebens steht auch hierfür, v.a. aber dafür, dass jetzt eine stärkere, eine unermesslich stärkere Kraft wirkt.

Das Erdbeben kündigt göttliches Handeln, göttliche Erscheinung an – wie auch der Engel, der Gottesbote, die göttliche Lichtgestalt – blendend weiß.

Menschenmacht ist am Ende. Was jetzt geschieht, ist nicht menschengemacht. Menschen können kein Erdbeben auslösen. Menschen können nicht einen Toten zum Leben erwecken.

Gottes Macht ist jetzt am Werk. Sie kann es mit dem Tod aufnehmen. Harmlos ist das nicht.

Der Tod ist stark. Gott ist stärker.

Die Wächter des Todes erschrecken sich fast zu Tode.

Aber nicht nur die Wächter fürchten sich. Auch die Frauen.

Von alleine können sie da nicht heraus. Die Furcht können sie sich nicht selbst nehmen, die Furcht, die jetzt noch zu Schmerz und Trauer hinzugekommen ist.

Das ist jetzt noch nicht der Zeitpunkt für Osterfreude. Nichts erklärt sich hier von selbst!

Deswegen redet der Gottesbote, der Engel jetzt. Er sagt, er übermittelt den Frauen die Osterbotschaft, den göttlichen Sieg des Lebens über den Tod – Schritt für Schritt:

„Fürchtet euch nicht!“ Als erstes erkennt er die Furcht der Frauen – und nimmt sie ihnen. Er schafft Vertrauen. Denn die Furcht ist dem Glauben im Wege.

Der Engel weiß, was die Frauen bewegt und umtreibt, und zeigt und sagt ihnen das:

„Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht.“ Der Engel nennt die Härte des Todes Jesu: wie dieser erniedrigt, entwürdigt wurde – der Kreuzigungstod ist der Tod für Verbrecher, für Unfreie: Mit einer Demütigung sollte Jesus gestorben sein. Das wird die Trauer der Frauen riesengroß gemacht haben. Es war eben kein friedlicher, kein tröstlicher Tod, jedenfalls war ein solcher Tod von Jesu Peinigern so nicht beabsichtigt.

Mit wenigen Worten erweist sich der Engel als jemand, der die Frauen in ihrem Leid versteht. Er steht ihnen bei – nicht mit langen Reden, nicht mit Beschwichtigungen, sondern indem er genau da ist, wo die Frauen sind, und genau das sagt, was ihnen guttut und sie auch weiterführt.

Er weitet ihren Blick. Er führt sie von Furcht zur Freude, zu großer Freude sogar – weiterhin Schritt für Schritt: „Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt und seht die Stätte, wo er gelegen hat; und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern: Er ist auferstanden von den Toten. Und siehe, er geht vor euch hin nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.“

„Er ist nicht hier“ – ohne die Fortsetzung wäre das eine Steigerung des Leides. Mit der Fortsetzung „er ist auferstanden“ wird alles neu und anders für die Frauen. Dabei knüpft der Engel ja sogar an Jesus selbst an: „wie er (Jesus) gesagt hat“. Die Frauen müssen sich nur erinnern.

Und doch – jetzt ist Glauben angesagt: Glaube an Gottes Treue und Verlässlichkeit, Glaube an Gottes Lebenswillen und Lebensmacht.

Die Rede des Engels ist glaubwürdig: Er besiegelt seine Worte feierlich: „Siehe, ich habe es euch gesagt.“ Es ist ja eine Rede Gottes selbst, die er als Gottes Bote glaubwürdig übermittelt hat: eine einfühlsame Rede gegen die Furcht, mit der er die Frauen aus ihrer Welt des Todes und der Trauer herausführt, ihnen neue Ausblicke zeigt und sie auf einen neuen Weg setzt.

Dem Ausblick zu trauen, den Weg zu gehen, das allerdings erfordert tatsächlich Glauben, Vertrauen.

Es gibt keine Absicherung!

Die Frauen sollen den Jüngern die Auferstehung Jesu verkündigen, von der sie selbst gehört haben. Die Frauen sollen ohne Absicherung tätig werden. Das Wort des Engels ist glaubwürdig. Das reicht! Mehr braucht es nicht.

Die Frauen können zuerst verkündigen, weitersagen, was sie gehört haben, bevor sie Jesus selbst zu sehen bekommen werden, dessen Auferstehung sie verkündigen. Der Engel führt die Frauen zu österlichem Glauben – frei von jeder Absicherung, die den Glauben als Glauben ja nur schwächen könnte, nicht stärken, nicht bewähren. Gott ist der glaubwürdige Gott!

So verstehen’s die Frauen. Die Furcht ist nicht weg, sie kann zum Glauben gehören – wie auch die mit der Furcht verwandte Ehrfurcht, der Respekt vor der Erhabenheit und Größe Gottes.

Aber es bleibt jetzt nicht bei der Furcht allein. Ihr gesellt sich jetzt die Freude zu, und die überwiegt: „große Freude“, aber nur: „Furcht“.

Furcht lähmt, Freude setzt in Bewegung.

Der Ort der Frauen ist nun nicht mehr am Grab, dem Ort der Trauer, der Furcht, der Erschütterung.

Es drängt sie, es den Jüngern zu verkündigen – ohne dass sie sich sehend hatten überzeugen können. Die Frauen waren bereit, den Jüngern die Auferstehung Jesu zu verkündigen. Die göttliche Engelrede hatte sie dazu bereitgemacht. Das hatte gereicht. Nach mehr, nach sichtbarer Beglaubigung hatten sie nicht verlangt.

Was ihnen nicht notwendig war, durften die Frauen jetzt erleben, jetzt wirklich sehen: Jesus selbst.

Er, der Auferstandene, begegnete ihnen und grüßte sie.

Matthäus erzählt, wie das die Frauen bewegt: „Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder.“ Gesten des Vertrauens, der Zuneigung, der Ehrfurcht. Gesten nicht nur des Respekts, sondern auch der Liebe!

Ihre bis jetzt gebliebene, mitlaufende Furcht erkennt Jesus. Er nimmt sie ihnen. Ein zweites Mal hören die Frauen: „Fürchtet euch nicht!“

Und nun erhalten die Frauen von Jesus selbst den Auftrag, es den Jüngern zu verkündigen. „Brüder“ nennt er diese.

Der Engel hatte den Glauben der Frauen geweckt. Ihre Erstarrung hatte sich gelöst, sie hatten sich in Bewegung gesetzt – und sind Jesus selbst begegnet.

Mit wenigen Worten zeichnet Matthäus eine innige, liebevolle Begegnung nach.

Das Ostergeschehen hat Glauben freigesetzt. Niemand muss dem folgen. Es ist nicht zwingend. Glaube und Vertrauen können das nicht sein. Aber sie sind heilsam, lebensfördernd!

Und wenn Menschen von ihnen ergriffen sind, können sie Glauben und Vertrauen einerseits als verletzliches Gut erleben, andererseits aber durchaus sogar als bezwingende Macht, die nicht weicht.

Glauben kann die Furcht vor dem Tod und die Furcht vor dem Leben mindern und letztlich überwinden. Unzählige Menschen haben das erfahren und erfahren das in den teils gewaltigen Schwierigkeiten und Bedrohungen in ihrem Leben. Sie spüren, wie das Leben doch trägt. Und wenn sie’s nicht spüren, vertrauen sie darauf.

Und selbst wenn der Tod sich meldet, unübersehbar, unüberhörbar, erinnern sie sich an die Osterbotschaft. Der Tod hat nicht mehr das letzte Wort. Das Leben ist stärker und wird siegen. Gott ist glaubwürdig und hat seinen Sohn aus dem Tod befreit.

Gott lässt sich aus der Welt und dem Leben nicht verdrängen. Wir dürfen uns an ihn halten. In unserer Furcht und in unserer Freude. Die schenkt uns Gott immer wieder. Und die Freude steht schließlich – ungetrübt, ohne Furcht, mit Gott – für uns bereit.

Wo stehen wir heute, Ostern 2020, in der Erzählung des Matthäus? Wohl hauptsächlich doch noch oder wieder im Status der ‚Furcht‘, sicherlich auch der Trauer, wenn nicht um Menschen, die wir persönlich kennen, dann aber bestimmt um die vielen Menschen, die in diesen Tagen und Wochen gestorben sind und sterben. Weniger aber sind die meisten derzeit wohl im Status der ‚großen Freude‘.

Auch die Frauen mussten’s mehrmals hören: „Fürchtet euch nicht!“ Selbst noch, als sie schon von „großer Freude“ ergriffen waren. Auferstanden aber war Jesus da schon.

Wir werden’s in unserem Leben wohl immer wieder uns sagen lassen müssen – und dürfen: „Fürchtet euch nicht!“ Wohl auch dann noch, wenn die derzeitige weltweite Bedrohung sich gelegt haben sollte, zumal wir, die Menschheit, die Welt, die Schöpfung Gottes ja nicht nur unter einer, sondern unter vielfachen und vielfältigen Bedrohungen leidet. Dazu gehören auch menschengemachte Bedrohungen, die jetzt da sind und sich nicht mehr so schnell und schmerzlos entfernen lassen.

Umso wichtiger ist es, Ostern zu feiern, Jahr für Jahr sich an Ostern zu erinnern, Ostern zu vergegenwärtigen und in unser Leben und Handeln, unser Denken und Fühlen, unser Glauben und Hoffen, unser Lieben und Vergeben, unser Weinen und Trauern, unser Lachen und unseren Ernst einziehen zu lassen.

Ostern möge uns nicht unverändert lassen, sondern neu beflügeln in der Hoffnung und dem Vertrauen, dass wir zu gegebener Zeit wieder aufatmen können und neu zum Leben und zur Welt, zueinander, zu uns selbst und zu Gott finden werden.

In diesem Sinne: Schöne und frohe und gesegnete Ostern 2020!