Veränderungen

Am 1. Oktober werden es 24 Jahre, dass ich Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde Haiger bin. Über 200 Jahre ist es her, dass jemand so lange bzw. noch länger hier Pfarrer war (Pfarrer Johann Christian Hinzpeter: 28 Jahre von 1776 bis 1804). Die meisten blieben deutlich kürzer in Haiger, in den letzten drei Jahrzehnten alle weniger als zehn Jahre.
Ich war die lange Zeit gerne Pfarrer in Haiger und möchte gleichwohl die letzten Jahre meines aktiven Berufslebens in einer anderen Kirchengemeinde und auch in einer anderen Gegend arbeiten und mit meinem Lebenspartner leben.
Daher werde ich die Pfarrstelle wechseln und voraussichtlich ab 1. Februar 2022 Pfarrer der Schlossgemeinde Rumpenheim in Offenbach am Main sein. Der Dienstbeginn in Offenbach kann sich, je nachdem, wann die dortige Dienstwohnung bezugsfertig wird, noch verschieben und die Zeit in Haiger dementsprechend verlängern.
Nach jetziger Planung werde ich im Januar Urlaub für den Umzug nehmen, so dass mein Dienst in Haiger Anfang Januar 2022 enden wird.
Die rund 24 Jahre in Haiger waren eine wesentliche Zeit meines Lebens.
Ich habe im Laufe der Jahre und Jahrzehnte außerordentlich viele offene, freundliche, herzliche, engagierte, kompetente, hilfsbereite, tatkräftige, ernsthafte, gutwillige, vertrauensvolle, ja treue Menschen getroffen. Es gab unzählige gute, intensive Begegnungen und Gespräche. Ich denke gerne an die vielen Gottesdienste in unserer Kirchengemeinde – in jedem Ort bin ich gerne: Haiger, Rodenbach und Steinbach haben ihre je unverwechselbaren Charakterzüge, auch das Altenpflegeheim des DRK sowie das Haus Ströhmann in Haiger. Ich denke gerne an die Besuche in den Häusern, die Begleitung von Menschen jeden Alters, die diversen Gruppenstunden und Bibelbespräche, die Wegstrecken mit den Konfis – vielen bin ich später wieder zu anderen Anlässen begegnet – an die Konfi-Freizeiten mit den vielen Betreuerinnen und Betreuern, einige davon waren immer wieder dabei. Etliche Taufen, Trauungen, Beerdigungen und die dazugehörigen Gespräche sind mir unvergessen. Ich denke ebenso gerne an meine fast 23jährige Unterrichtstätigkeit an der Johann-Textor-Schule in Haiger, die mir viele Kontakte über die Kirchengemeinde hinaus ermöglicht hat, genauso an die Arbeit mit den Kindergärten des Diakonievereins Haiger e.V. und die ausgezeichnete langjährige Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung der Stadt Haiger. Und natürlich auch an viele Kirchenvorstandssitzungen, überhaupt die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den meisten Kirchenvorstandsmitgliedern in den vier zurückliegenden Wahlperioden sowie mit den haupt-, neben- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, auch in der Ökumene.
Auch an unsere schönen Gebäude denke ich gerne. Besonders sind mir die Kirche Rodenbach, die Stadtkirche mit ihrer wunderbaren Orgel und natürlich auch das wunderschöne Pfarrhaus mit dem Garten in der Westerwaldstraße ans Herz gewachsen. Zahlreichen Gruppen (Konfi-Gruppen, Schulklassen, Ausflugs-Gruppen) unsere altehrwürdige Stadtkirche mit ihren herrlichen Wandmalereien zu zeigen und nahezubringen, war mir immer wieder eine große Freude.
Für all das und vieles mehr, was ich an Gutem und Schönem in Haiger erfahren habe, bin ich sehr dankbar!
Es gab und gibt freilich auch Schattenseiten.
Mir ist bewusst, dass ich einigen, auch berechtigten Erwartungen nicht genügen konnte. Manche Menschen mussten lange auf einen Besuch warten. Hier war es manchmal schwer oder schlicht nicht möglich, allen angemessen gerecht zu werden. Wo ich Versäumtes nicht nachholen konnte, schmerzt es mich noch heute.
Manche Erwartungen waren und sind unerfüllbar. Gelegentlich fehlt es an Verständnis dafür, was ein Pfarrer alles tut – oder auch nicht zu tun braucht, gerade um mehr Zeit für andere Menschen und andere Dinge zu haben. Vieles ist für die Öffentlichkeit, überhaupt für die meisten Menschen in der Kirchengemeinde, nicht sichtbar – und soll es auch nicht sein: die Seelsorge zuvörderst. Aber auch etliches an Vorbereitungen und Ausarbeitungen, Verwaltungsarbeit und Organisatorischem: Bei all dem ist schließlich nur das ordentliche Ergebnis sichtbar. All dies braucht seine Zeit.
Überdies war und ist meine Zeit in Haiger geprägt von häufigen und längeren Vertretungstätigkeiten in der eigenen Gemeinde wegen mehrerer Vakanzen sowie Krankheit, Elternzeit, Studienurlaub der verschiedenen Pfarrpersonen auf der anderen Pfarrstelle unserer Gemeinde.
Als ich der Gemeinde von meiner Homosexualität und dem Zusammenleben mit meinem langjährigen Lebenspartner erzählte, haben viele Menschen gut, offen, respektvoll, ja herzlich reagiert und mir selbstverständlich weiterhin ihr Vertrauen geschenkt. Viele Herzen haben sich geöffnet.
Manche Menschen haben schroff und ablehnend reagiert. Einige von ihnen haben aber noch nach Jahren ihre Einstellung geändert und sich mir wieder neu geöffnet.
Ein Teil jedoch blieb bei der Ablehnung und meidet mich, auch meine Gottesdienste, seitdem konsequent – soweit irgend möglich. Ich habe das um der vielen anderen willen lange Jahre immer getragen und ertragen.
Ich hoffe, in meinen letzten Berufsjahren an einem anderen Ort eine solche Ausgrenzung nicht mehr zu erleben.
Die vielen guten Erlebnisse und Begegnungen werden durch diese dunklen Erfahrungen jedoch nicht geschmälert – sie treten vielmehr desto klarer und heller hervor.
Die möglicherweise längere Zeit der (Doppel-)Vakanz mag auch eine Gelegenheit für die Gemeinde und den Kirchenvorstand bieten, sich über ihren Grund, ihren Weg und ihr Ziel neu zu vergewissern.
Sie können – in Vorbereitung auf die Neubesetzung der Pfarrstelle – überlegen, wie Sie dem neuen Pfarrer oder der neuen Pfarrerin begegnen möchten und wie Sie die spezifischen Fähigkeiten und Kenntnisse eines Pfarrers oder einer Pfarrerin wahrnehmen und sich entfalten lassen können.
Der Ev. Kirchengemeinde Haiger, die so viele Möglichkeiten hat und Schätze in sich birgt, mit ihrem Kirchenvorstand wünsche ich von Herzen Gottes Geleit und Segen – und freue mich auf die verbleibende gemeinsame Zeit.
Mit herzlichen und dankbaren Grüßen
Ihr und Euer Pfarrer Andreas Strauch