Gedanken zum Gründonnerstag – von Pfarrer Andreas Strauch
Jesus nimmt Abschied von seinen Jüngern mit seinem letzten Mahl – vor den Stunden der Einsamkeit, der Angst und der Verlassenheit. Sein Abschied ist wohlgeordnet. Jesus konnte seinen Abschied bewusst erleben, ja sogar selbst gestalten.
Es war vorhersehbar, was dann kam, es musste ja geradezu so kommen. Bei aller Freiwilligkeit hatte der Weg Jesu etwas Zwangsläufiges: Wer sich so rückhaltlos der Liebe verschrieb, sie nicht nur lehrte, sondern auch lebte, wer auf diese Weise eine Welt der Lieblosigkeit empfindlich und nachhaltig störte, sie auch als solche entlarvte, der durfte nicht mit allgemeiner freundlicher Gegenliebe rechnen.
Die wurde ihm von einzelnen durchaus zuteil, aber nicht von der Menge, letztlich nicht einmal von allen seinen Jüngern und Anhängern, jedenfalls nicht ungebrochen: Auch Judas, der ihn verraten, übergeben sollte, auch Petrus, der ihn verleugnen und somit auch verraten sollte, saßen mit Jesus am Tisch.
Jesus zog den Hass vieler geradezu auf sich, absorbierte ihn gleichsam, nahm ihn auf sich und von anderen weg, als wollte er dem Hass den Nährboden entziehen, so dass nichts mehr davon für die Menschen untereinander übrigbleibt – nur noch Raum für die Liebe.
Jesus gestaltete seinen Abschied also bewusst, und seine Jünger durften ihn miterleben. Er schenkte ihnen noch einmal das Zusammensein mit sich.
Was er ihnen als Vermächtnis mitgab, war nicht etwa eine Lehre des Meisters. Er schenkte vielmehr sich selbst, seine Liebe, die immer für andere da war: „für euch gegeben“. Sie sollte bleiben. Brot und Kelch deutete er auf sich selber. In ihnen ist Jesus gegenwärtig. Das ist sein Vermächtnis. Leibhaftig. Zum Anfassen. Zum Schmecken.
Die Jünger sollten fortan nicht mehr mit Brot und Wein zusammenkommen können, ohne an ihn zu denken, ohne ihn unter sich zu wissen. Jesus hat sich aus der Gemeinschaft der Menschen nicht herausdrängen lassen. Dafür hat er gesorgt mit dem, was er seinen Jüngern zum Abschied schenkte: sich selbst: im Brot, im gefüllten Kelch.
Mochte er auch sterben müssen am nächsten Tag – das blieb. Das bleibt.
Mochte sich auch – trotz seiner Auferstehung – die Hoffnung auf seine baldige Wiederkehr nicht erfüllen, bis heute nicht – das blieb.
Jesus bleibt und ist da. Er ist dabei, wenn Menschen das Abendmahl feiern.
Die Erinnerung an ihn will weitergegeben werden. Deswegen sagt der Apostel Paulus, bevor er den Korinthern Jesu Einsetzungsworte in Erinnerung ruft, dass er, Paulus, selber in einer Kette der Erinnerung, des Empfangens und Weitergebens steht: „Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich euch weitergegeben habe“ (1. Kor. 11, 23).
Auch Christenmenschen heute stehen in dieser Erinnerungs-, Empfangs- und Weitergabekette, wenn sie als Gemeinde das Abendmahl feiern und sich zum Abendmahl einladen lassen.
Die Gastgemeinschaft, die wir so genießen können, ist auf Jesus selbst, den Gastgeber ausgerichtet. Deswegen ist es möglich, dass so viele, so unterschiedliche Leute nebeneinander in Gemeinschaft stehen und verbunden sind, unabhängig davon, ob sie sich sonst gut kennen oder nicht, ob sie sich mögen oder nicht. Wie die einzelnen Gäste sonst zueinanderstehen, ist bei der Feier des Abendmahls unerheblich, braucht nicht zu interessieren und auch nicht zu belasten.
Jedem, jeder einzelnen und somit allen hat sich Jesus geschenkt. Das hält eine Gemeinde, die Kirchen, die Christenheit zusammen – und braucht auch darüber hinaus keine Grenzen zu errichten. Dieses Wissen des Glaubens mag übrigens auch helfen, wenn Menschen, wie derzeit, nicht zusammenkommen können, auch wenn sie es gerne würden.
In der Feier des Abendmahls wird schon etwas vorweggenommen, worauf wir, wie alle christlichen Kirchen und Gemeinden, hoffen und warten: der wirklich umfassende Frieden der Menschen untereinander und miteinander.
Der Karfreitag ist der Tag, an dem uns der Unfrieden, die maroden Lebensbedingungen, die zerstörerischen Verhältnisse und zerstörten Beziehungen, in denen Menschen miteinander und mit Gott, dem Schöpfer ihres Lebens und ihrer Lebensgrundlagen, leben, besonders schmerzlich bewusst wird.
Im Abendmahl wird für eine kurze Weile, über die kurze Dauer des Festes, das Wirklichkeit, was eben noch nicht die generelle, umfassende, andauernde Wirklichkeit unseres Lebens ist: Friede unter den Menschen und mit Gott. Echte, verlässliche, vertrauenswürdige Gemeinschaft.
Menschen lassen einander gelten, fühlen sich nicht bedroht, fürchten nicht ihre Verschiedenheit, erfreuen sich sogar daran, sorgen sich umeinander, lassen niemanden arm werden oder bleiben, lassen ihr Leben in der Liebe aufgehen und erfahren von daher Erfüllung, Gelingen, Segen. Wenn das Leben auf dieser Erde doch so wäre!
Im Vollzug der Feier des Abendmahls werden wir auf unsere menschliche Bestimmung hin verwandelt und finden uns wieder als Vollbürger des Reiches Gottes, als ob wir schon in ihm lebten. Die Feier des Abendmahls zielt in ihrem Moment schon auf die Überwindung des Unvollkommenen, Fragmentarischen, das unser Leben noch bestimmt: hin zur ganzen, ungetrübten Fülle des Lebens von Gott und mit Gott. Das glänzende Licht der Ewigkeit Gottes leuchtet auf; die liturgische Farbe des Gründonnerstages – ein Tag vor dem Tod Jesu – ist weiß! Das Abendmahl ist ein Hoffnungsmahl.
Es kann und will uns tiefen Frieden geben, mit Gott, mit unseren Mitmenschen, mit uns selbst: Ruhe, Reinigung, Neuanfang. Gleichzeitig wird es uns aber auch in heilsame Unruhe versetzen. Denn es lässt den Stachel der Unvollkommenheit, der Lieblosigkeit, des Egoismus, der Undankbarkeit, der Behäbigkeit unseres Lebens schmerzlich spüren.
Es müssen eben nicht alle Unterschiede, gerade auch nicht die sozialen Unterschiede, die Unterschiede von arm und reich einfach als gegeben und letztlich unveränderbar angesehen und hingenommen werden. Das ist es, was Paulus den Korinthern, den Bewohnern der Hafenstadt mit erheblichen sozialen Spannungen, kritisch ins Bewusstsein ruft: Die Übersättigten, Saturierten, sollten den Armen, Hungrigen und Bedürftigen kein Ärgernis sein, indem sie ihre Überlegenheit herausstellten und so die Unterschiede kränkend unterstrichen. – Das gibt es auch heute noch, es kann sich sogar im Umgang europäischer Länder mit anderen ärmeren, hilfsbedürftigen europäischen Ländern ereignen, vielleicht nicht bewusst und nicht willentlich, aber es kann doch so aufgenommen werden.
Warum schenkt sich Jesus denn gerade bei einem Mahl mit Essbarem, Trinkbarem, sichtbar, fühlbar und zu schmecken in Brot und Wein? Es ist das und steht dafür, was unbedingt im Leben notwendig ist. Solange Menschen dies nicht selbstverständlich zukommt, wird das Geschenk des Abendmahls uns auch beunruhigen müssen.
Wenn sich Jesus selbst schenkt, sich „für euch“ gibt, dann ist das ja der Jesus, der die Liebe lebte, die Liebe selbst war und ist, der sich treu blieb, aber nicht bei sich selbst blieb, der da war für andere, sich für sie verzehrte, aufopferte, sich ihnen ganz hingab.
Wenn wir sein Geschenk, ihn selbst empfangen, stehen auch wir in der Kette von Empfangen und Weitergeben.
Nach den Einsetzungsworten schreibt Paulus: „Denn sooft ihr von diesem Brot esst und von dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.“ (1. Kor. 11, 26)
Aus Empfangenden werden Gebende, Verkündigen kann man in Worten und in Taten. Eingeladen sind alle, ob eher bedürftig oder zu geben in der Lage. Die meisten Menschen sind ja beides. Das Geheimnis des Abendmahls ist, dass es uns öffnen kann: für die Liebe Christi, die wir empfangen und mit offenen Augen, Ohren und Händen weitergeben können.
In diesem Jahr leben wir von der Erinnerung an das Abendmahl. Hoffen wir, dass wir es bald wieder in leibhaftiger Gemeinschaft feiern dürfen.