Dietrich Bonhoeffer

von Pfr. Ralf Arnd Blecker

Am morgigen Gründonnerstag 2020 ist es genau 75 Jahre her: Man schrieb den 9. April 1945 als der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer im KZ-Flossenbürg gehängt wurde. Was mit seiner Leiche gemacht wurde, weiß man nicht. Es gibt kein Grab. Der Häftling Bonhoeffer gab zu bedenken, man müsse heute in der Welt leben, „als ob es Gott nicht gäbe“. Gott ist da in dieser Welt, aber nicht als majestätischer Herrscher, sondern als Leidender, er ist als Ohnmächtiger da, dienend. Gott leidet mit seiner Welt mit, er gibt sich hin und verwandelt damit die Not. Viele Menschen kennen Bonhoeffers Gedicht „von guten Mächten“. Es wird gern in Gottesdiensten und häufig bei Bestattungen gesungen. Weniger bekannt als sein Gedicht von den guten Mächten ist:

Wer bin ich?

Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich träte aus meiner Zelle

gelassen und heiter und fest wie ein Gutsherr aus seinem Schloss.

Wer bin ich? Sie sagen mir oft, ich spräche mit meinen Bewachern

frei und freundlich und klar, als hätte ich zu gebieten.

Wer bin ich? Sie sagen mir auch, ich trüge die Tage des Unglücks

gleichmütig, lächelnd und stolz, wie einer, der Siegen gewohnt ist.

Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?

Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?

Unruhig, sehnsüchtig, krank, wie ein Vogel im Käfig,

ringend nach Lebensatem, als würgte mir einer die Kehle,

hungernd nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen,

dürstend nach guten Worten, nach menschlicher Nähe,

zitternd vor Zorn über Willkür und kleinlichste Kränkung,

umgetrieben vom Warten auf große Dinge,

ohnmächtig bangend um Freunde in endloser Ferne,

müde und leer zum Beten, zum Denken, zum Schaffen,

matt und bereit, von allem Abschied zu nehmen?

Wer bin ich? Der oder jener?

Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer?

Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler

und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?

Oder gleicht, was in mir ist, dem geschlagenen Heer,

das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg?

Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott.

Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!

(DB, Widerstand und Ergebung. Neuausgabe, 381f)

1943 formulierte Bonhoeffer folgendes Glaubensbekenntnis:

„Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.

Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein. Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten.

Ich glaube, dass Gott kein zeitloses Fatum ist, sondern dass er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.“

(DBW 8, 30f)